Kinderanalysetagung
KINDERANALYSE UND PÄDAGOGIK
Jubiläumstagung 100 Jahre „Erziehungsberatungsstelle“ im Wiener psychoanalytischen Ambulatorium 10. Kinderanalytisches Symposium
Programm
Donnerstag 29.02.2024
18:00 Thomas Aichhorn: 100 Jahre Erziehungsberatungsstelle – zwei Anfänge
18:30 Dieter Bürgin: Kinderanalyse und Pädagogik
Moderation: Elisabeth Brainin
20:30 - 21:30 Empfang (Salzgries)
Freitag 01.03.2024
9:00 Begrüßung: Wolfgang Oswald (WPV), Michael Günter, Elisabeth Brainin
9:30 - 10:15 Vortrag: Bernhard Rauh: Erziehen – Analysieren – Bilden
Moderation: Kai v. Klitzing
In der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Analysieren und Erziehen in besonderer Weise. Im Vortrag werden Diskursformationen zur Frage der Relationierung von Psychoanalyse und Pädagogik rekonstruiert. Dabei wird auf Versuche einer Verhältnisbestimmung unter besonderer Berücksichtigung von Freud und Michael Balint Bezug genommen. Die Rekonstruktion deutet darauf hin, dass es hilfreich ist, die beiden Dispositive Erziehen und Psycho-Analysieren über etwas Drittes, eine Vorstellung von Bildung zu relationieren, um die Spannungsverhältnisse nicht in Entweder-Oder-Logiken aufzulösen, sondern Unterschiede und Gemeinsamkeiten repräsentieren zu können.
10:15 - 11:00 Diskussion
11:00 - 11:30 Pause
11:30 - 12:15 Vortrag: Gertraud Diem-Wille: Von der Elternberatung zur begleitenden Arbeit mit Eltern des Therapiekindes
Moderation: Michael Günter
Die Aufbruchstimmung der Psychoanalytiker in den 1920er Jahre war geprägt von der Hoffnung, durch die Anwendung psychoanalytischen Wissens bereits in der Erziehung neurotische Entwicklungen und Probleme, wenn nicht verhindern so doch mildern zu können. August Aichhorn und sein Mitarbeiter Lambert Bolterauer versuchten in den Gesprächen mit Eltern - ähnlich wie Freud in den Gesprächen mit dem Vater des Kleinen Hans - psychoanalytisches Wissen zu vermitteln, wobei sie erlebten, dass grundlegende Aussagen wie das Sprechen über ödipale Wünsche oft auf Unverständnis stießen. Der Anspruch wurde pragmatisch zu einer Erziehungsberatung mit dem Besprechen konkreter Erziehungsmaßnahmen verändert.
Durch die Erforschung der frühen Lebensjahre bei der die frühen Interaktionen des Babys mit der Mutter im Mittelpunkt standen, sowie den Erfahrungen der psychoanalytischen Arbeit mit kleinen Kindern wurde das Augenmerk stärker auf Projektionen der Eltern auf ihre Kinder gelenkt. Zunehmend standen in den Elterngesprächen auch die frühen Erfahrungen der Eltern in ihrer Kindheit im Zentrum, sodass die Verschiebungen und Projektionen auf die Kinder sichtbar wurden, was die Einsicht in psychoanalytische Mechanismen erleichterte. Selma Fraibergs Verständnis der „Ghosts in die nursery“ eröffnete ein neues Verständnis der Bedeutung der Projektion unbearbeiteter Konflikte der Eltern mit ihren Eltern auf die nächste Generation. Sodass sich neben der begleitenden Arbeit mit Eltern der Kinder in einer analytischen Behandlung die Eltern-Kleinkind Therapie etablierte. Eine kurze, frühe therapeutische Hilfe als Fokaltherapie kann am Schnittpunkt von Prophylaxe und Therapie angesiedelt werden, die das Verfestigen schwieriger Interaktionsmuster zwischen Eltern und Säugling oder Kleinkind (bis zum Alter von 5 Jahren) verändern kann. Anhand eines Fallbeispiels einer Eltern-Kleinkind soll die Verflechtung intergenerativer Konflikte illustriert werden.
12:15 - 13:00 Diskussion
13:00 - 14:00 Mittagspause
14:00 - 16:15 Parallel-Supervisionsgruppen: SupervisorInnen: Elisabeth Brainin, Dieter Bürgin, Gertraud Diem-Wille, Sabine Fiala-Preinsperger, Margarete Grimm, Sabine Götz, Michael Günter, Kai v. Klitzing.
16:15 - 16:45 Pause
16:45 - 17:30 Vortrag: Thomas Jung: Es geht nicht zwischen uns
Moderation: Wolfgang Oswald
Erregung zu bewältigen oder zu binden, stellt eine vorrangige Aufgabe des psychischen Apparates dar. Kann diese Aufgabe nur mangelhaft erfüllt werden, kommt es umso mehr auf ein Gegenüber an, das dazu imstande ist, nicht nur seine eigene Erregung zu meistern, sondern auch die Triebwünsche des Subjekts in Empfang zu nehmen. Trotz dieses Ideals der gleichschwebenden Aufmerksamkeit kann man sich als Analytikerin oder Analytiker angesichts körperlicher Bemächtigungsversuche dennoch zu Grenzsetzungen gedrängt fühlen. Doch ist bei Grenzsetzungen nicht immer eine Gegenübertragung mitbeteiligt? Und: Auf welch andere Weise können wir mit vehement in die Übertragung drängenden Triebwünschen umgehen, sofern wir nicht von einer Gegenübertragung erfasst sind oder es gelungen ist, diese ausreichend durchzuarbeiten? Möglichkeiten zur Bewältigung von aufkommender Erregung werden anhand des intensiven Ringens eines analytischen Paares im Verlauf einer Sitzung untersucht.
17:30 - 18:15 Diskussion
20:00 Gesellschaftsabend (Salzgries)
Samstag 02.03.2024
9:00 - 9:45 Vortrag: Liana Giorgi: Die Auseinandersetzung zwischen Anna Freud und Melanie Klein über die Kinderanalyse: Eine kritische Würdigung aus heutiger Sicht.
Moderation: Daniel Barth
Der Vortrag greift die Auseinandersetzung zwischen A. Freud und M. Klein über die Kinderanalyse (Anwendung, Umfang, Indikation, Technik) wieder und prüft deren Bedeutung aus heutiger Sicht. Es wird gezeigt, dass die Auseinandersetzung inhaltlich weniger ausgeprägt war als dargestellt. Mein Hauptargument ist, dass hinter der Debatte, die noch heute mal auf metapsychologischer, mal auf der Ebene der Technik geführt wird (ähnlich wie in anderen klinischen Anwendungsbereichen der Psychoanalyse) eine grundlegende Frage übersieht (oder nur partiell behandelt), und zwar diejenige der Verknüpfung zwischen Metapsychologie und Technik. Wenn diese dritte Perspektive systematisch berücksichtigt wird, dann entpuppen sich manche laute Differenzen entweder als vorgetäuscht oder als interessante Abweichungen, die Einsicht in die vielschichtige Art wie psychische Vorgänge wirken gewähren.
9:45 - 10:30 Diskussion
10:30 – 11:00 Pause
11:00 - 11:45 Vortrag: Doris Mauthe-Schonig: In der Schule träumen dürfen?
Moderation: Sabine Fiala-Preinsperger
Über das Erzählen und Vorlesen im Anfangsunterricht – ein Versuch, aus analytischer Perspektive die pädagogisch-psychologische Situation von Schulanfängern zu reflektieren und ihnen Raum für persönliche Phantasien zu geben.
Was für die therapeutische Arbeit mit Kindern die elementare Basis darstellt, nämlich Wünsche, Träume, Ängste und Phantasien zur Sprache zu bringen, wird in der Schule oft vernachlässigt. Ich möchte ein Erzählkonzept vorstellen und zeigen, wie die persönlichen Phantasien, die die Kinder in ihren Texten und Zeichnungen ausformulieren, durch das Vorlesen der „Geschichten von der Kleinen weißen Ente“ in Gang gesetzt werden. Dem Kind den Zugang zu seiner inneren Welt offen zu halten ist auch in der Schule möglich. Bruno Bettelheim betonte schon vor mehr als dreißig Jahren die Bedeutung persönlicher Phantasien. Die unpersönlichen Phantasieprodukte der Massenmedien, schrieb er, entspringen nicht der eigenen Phantasiewelt und können das „wirkliche“ Leben eines Kindes nicht bereichern und ihm kein Gefühl von Identität geben.
11:45 - 12:30 Diskussion
12:30 - 13:00 Pause
13:00 - 14:30 Panel-Diskussion: Warum Kinderanalyse? Dieter Bürgin, Elisabeth Brainin, Daniel Barth, Kai v. Klitzing, Michael Günter, Gertraud Diem-Wille, Margarethe Grimm
Moderation: Elisabeth Skale
„Noch nie habe ich einen tieferen Einblick in die Seele eines Kindes gewonnen.“ schrieb Freud 1909 in einem Brief an Ernest Jones anlässlich des Erscheinens seiner Fallstudie des „kleinen Hans.“ Diese Falldarstellung, in der Freud lediglich als Berater des Vaters fungierte, gilt als die erste Anwendung der Psychoanalyse in der Behandlung eines Kindes und stellt somit den Beginn der Kinderanalyse dar. Seither sind nahezu 120 Jahre vergangen.
Welche Konzepte der Behandlung von Kindern und Jugendlichen haben sich seither entwickelt?
Haben sich die Konflikte und Symptome unserer jungen PatientInnen im Laufe der Zeit verändert?
Welche Rolle spielt die AnalytikerIn heute in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen?
Das Kind begegnet gleichzeitig verschiedenen Personen, die es in der Entwicklung fördern sollen und von denen es abhängig ist: Eltern, PädagogInnen, LehrerInnen und der AnalytikerIn. Verändert diese Synchronizität der Begegnungen und Einflussnahmen die Aufgaben der KinderanalytikerIn, wird ihre/seine analytische Haltung dadurch eingeschränkt oder gar verunmöglicht?
Im Rahmen dieses Panels soll vor allem die spezifische Funktion der KinderanalytikerIn bestimmt und abgegrenzt werden.
TN-GEBÜHR
Bis 31.01.2024: € 300, für Studierende € 75
Ab 01.02.2024: € 350, für Studierende € 100
Gesellschaftsabend: € 40
VORTRAGENDE
Thomas Aichhorn, Dipl. Päd. (Wien): Psychoanalytiker in eigener Praxis. Ordentliches Mitglied WPV/IPV. Vorträge und Veröffentlichungen zu Theorie und Geschichte der Psychoanalyse, zur „Allgemeinen Verführungstheorie“ Jean Laplanches, zur Psychoanalyse der Adoleszenz und zum Werk und zur Biografie August Aichhorns. Herausgeber der Briefwechsel Anna Freud/A. Aichhorn, K. R. Eissler/A. Aichhorn und Heinz Kohut/A. Aichhorn und von Arbeiten August Aichhorns, Rosa Dworschaks und K. R. Eisslers.
Dieter Bürgin, em. Prof. (Basel): Spezialarzt für Erwachsenenpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie /-Psychotherapie; Analytiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Über 30 Jahre Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Universitätsklinik und Poliklinik Basel-Stadt und Ordinarius an der Uni Basel. Ausbildungsanalytiker und ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse. Diverse Funktionen in der EPF und der IPA. Seit der Emeritierung 2005 in Privatpraxis in Basel. Zahlreiche Publikationen (Letztes Buch: (2022): Die Vitalität der präverbalen Psyche. Psychoanalytische Konzepte über das erste Lebensjahr: der Aufenthalt und die Arbeit im Unentfalteten. Frankfurt, Brandes & Apsel).
Gertraud Diem-Wille, Univ. Prof. i.R. (Wien): Psychoanalytikerin und Lehranalytikerin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV/IPA). Arbeitet in eigener Praxis in Wien und unterrichtete an der Universität Wien und der Alpen Adria Universität Klagenfurt. Ein wesentliches Anliegen ist die Ausbildung in psychoanalytischen Beobachtung, die im Rahmen der psychoanalytischen Fortbildung angeboten wird. Internationale Lehrtätigkeit im Rahmen der IPA. 2000 - 2004 Vorstandsmitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV), 2018 - 2021 Mitglied des Lehrausschusses, Co-Leitung des Weiterbildungslehrgangs „Psychoanalytisch orientierte Eltern-Kleinkind Therapie“, und „Psychoanalytisch-orientierte Säuglings-Kinder und Jugendpsychotherapie“ an der Wiener Psychoanalytischen Akademie. Veröffentlichungen: Die frühen Lebensjahre (Kohlhammer 2. erw. Auflage 2013), The Early Years of Life, (Karnac 2012), Russische Übersetzung in Druck; Das Kleinkind und seine Eltern (Kohlhammer 2. Erw. Auflage 2009), Young Children and Their Parents: Perspectives from Psychoanalytic Infant Observation, öffnet neues Fenster (Karnac 2015) Farsi Übersetzung; Latenz – Das „goldenen Zeitalter“ der Kindheit (Kohlhammer Verlag 2015); Latency: The Golden Age of Childhood (Karnac, 2017); Pubertät. Die innere Welt der Adoleszenten und ihrer Eltern (Kohlhammer Verlag 2017), Psychoanalytic Perspectives on Puberty and Adolescence. The Inner World of Teenagers and Their Parents (Routledge, 2021); Die innere Welt der Eltern. Psychoanalytische Perspektiven der Elternschaft. Kohlhammer (in Druck, Dezember 2023).
Liana Giorgi, Dr. (Wien): Psychoanalytikerin (Kinder, Erwachsene) in freier Praxis und Mitarbeiterin des Ambulatoriums der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.
Thomas Jung, DI (Wien): Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Mitglied des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Co-Chair des EPF-Forum for the Psychoanalysis of Children. Gründungsmitglied des Vereins Arbeitsgemeinschaft Gruppenanalyse mit Kindern und Jugendlichen (AG GaKiJu). Mitglied des Herausgeberbeirats des Jahrbuchs Internationale Psychoanalyse. Arbeitet in eigener Praxis in Wien.
Dipl. Päd. Doris Mauthe-Schonig (Berlin): Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Dozentin am Edith Jacobson Institut und Supervisorin. Im Vorberuf Grundschullehrerin. Umfangreiche Publikationen zu Themen des Schulanfangs, u.a. mit Bruno Schonig, z. B. das Erzählkonzept „Lesenlernern im Anfangsunterricht mit den Geschichten von der kleinen weißen Ente“. Seit 2002 Leitung des Berliner Arbeitskreises „Psychoanalyse und Pädagogik“ am EJI.
Bernhard Rauh, Prof. Dr. (Regensburg): Lehrstuhl Pädagogik bei Verhaltensstörungen und inklusive Bildung an der Universität Regensburg., Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pädagogische Psychoanalyse und der Dialog zwischen Erziehungswissenschaft und Psychoanalyse, Transklusion und Inklusion, reflexive Professionalisierung und Szenisches Verstehen. Qualifikationen: Gruppenanalytische Weiterbildung, Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut i.A. bernhard.rauh@ur.de
ORGANISATIONSTEAM
Elisabeth Skale, Sabine Fiala-Preinsperger, Sabine Götz, Ala Smolen